Biochemie des Alterns

16.07.2020

Als wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Institutes für Ernährungsforschung steht der Biochemiker Tilman Grune einer Einrichtung vor, die molekulare Ursachen für ernährungsbedingte Erkrankungen ergründet. Sein persönlicher Schwerpunkt liegt in der Altersforschung. Der neue Professor der Fakultät für Chemie sucht nach Biomarkern fürs Altern und Gründen für die Eiweißablagerungen in alternden Zellen.

"Mit Altersforschung beschäftige ich mich seit etwa 20 Jahren", sagt Tilman Grune, der die  Vertretungsprofessur "Physiologische Chemie und zelluläre Biochemie" für die Zeit der teilweisen Abwesenheit der Chemikerin Veronika Somoza angenommen hat. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit hat er auch die Leitung des Instituts für Physiologische Chemie übernommen.

Altersbedingte Proteinaggregate

Eine Frage, die Tilman Grune in seiner Forschung besonders interessiert, lautet: Was passiert mit unseren körpereigenen Proteinen, wenn wir altern? Alzheimer-Plaques sind wohl das prominenteste Beispiel für altersassoziierte Eiweißablagerungen in Zellen. Auch in anderen Regionen, etwa in Muskelzellen (Herzmuskel) oder insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse (Betazellen), können derartige Störungen des Proteinhaushaltes entstehen.

"In normal funktionierenden Zellen kommt es zu einem Protein-Turnover, bei dem die älteren Proteine durch neue ersetz werden. Warum mit der Alterung und besonders unter oxidativem Stress dieser Proteinabbau gestört wird, wissen wir noch nicht genau", sagt der neue Professor für Physiologische Chemie und Zelluläre Biochemie.

Die Störung führt zu mit nicht-abgebauten Proteinaggregaten verklumpen Zellen. Studien hätten gezeigt, so Grune, dass bei über 90-Jährigen etwa 70 Prozent des Zellvolumens durch diese Aggregate belegt sind. "Damit ist klar, dass bestimmte Funktionen nicht mehr eingehalten werden können."

Uns interessiert, wie sich der Stoffwechsel der Zellen und ihrer Proteine während des Alterns verändert - inwiefern Proteinaggregate die Herzmuskelfunktion und die Glukose-stimulierte Insulinsekretion beeinflussen.

Die Betrachtung von Herzmuskel- und Betazellen als Zelltypen mit Auswirkung auf den Gesamtorganismus sei in der biochemischen Altersforschung relativ jung, der Aufbau entsprechender Modellsysteme und die Simulation der Alterung relativ herausfordernd.

Biomarker fürs Altern

Ein zweiter Schwerpunkt von Grunes Gruppe ist die Suche nach Biomarkern, die über die gesundheitliche Fitness einen Menschen Auskunft geben und für vorbeugende therapeutische Maßnahmen herangezogen werden können. "Viele Messparameter, mit denen sich heute Ärzt*innen in der geriatrischen Praxis begnügen müssen, sind nicht objektiv. Es handelt sich – etwa bei der Frage nach der Patient*innen-Einschätzung zum eigenen Wohlergehen – eher um Empfindungsparameter oder beim Handkrafttest um einen kaum aussagekräftigen Wert für die Gesamtmuskelkraft", sagt Grune.

"Die Idealvorstellung der Forschung ist lange gewesen, mit vier bis fünf Biomarkern eine Aussage über die Lebenserwartung treffen zu können."

Davon sei man weit entfernt – hier müsse viel organspezifischer gesucht werden, so der Forscher. Neben dem Alter sind die "Fitness-Parameter" – die in der Altersforschung zunehmend auch unter dem Begriff Frailty (Gebrechlichkeit) zusammengefasst werden – auch zu einem großen Teil von der Ernährung beeinflusst, aber auch von der Lebenshaltung, psychosozialen und anderen Faktoren. Hier müsse man versuchen zu differenzieren.

Grune und sein Team untersuchen in Humanstudien und in Größenordnungen von bis zu mehreren tausend Testpersonen, ob es bei der Analyse von Blutproben objektive bio- und klinisch-chemische Parameter gibt, die zeigen, wie gefährdet eine Person in Bezug auf altersbedingte Gebrechen ist.

Zwischen Potsdam und Wien

Mit seiner Forschungsgruppe wird Grune weiterhin am Deutschen Institut für Ernährungsforschung bei Potsdam forschen. Mit der Anbindung an die Fakultät für Chemie sieht der Forscher viel Potenzial für Synergien, besonders in Bezug auf die durchgeführten Stoffwechsel-Untersuchungen. "Ich werde regelmäßig zwischen Wien und Bergholz-Rehbrücke, dem Standort meines Institutes, pendeln - aber es wird sich vermutlich auch einiges online abspielen", so der Forscher: "Darin sind wir jetzt ja alle gut trainiert!"


Univ.-Prof. Dr. Tilman Grune hat mit Mitte Mai 2020 die Vertretungsprofessur für Physiologische Chemie und Zelluläre Biochemie an der Universität Wien und die Leitung des Institutes für Physiologische Chemie an der Fakultät für Chemie angetreten. Der Biochemiker ist auch nach wie vor als wissenschaftlicher Direktor des deutschen Institutes für Ernährungsforschung (DIfE) Potsdam-Rehbrücke tätig. Sein Forschungsschwerpunkt ist die biochemische Altersforschung. An der Fakultät für Chemie wird er in den Bereichen Biochemie sowie Biofunktionalität von Lebensmitteln lehren.

Tilman Grune hat die Vertretungsprofessur für Physiologische Chemie und zelluläre Biochemie an der Fakultät für Chemie angetreten (© David Aussenhofer/DIfE).