Mit Tiergiften durch die Blut-Hirn-Schranke

15.07.2020

Ein Team um Markus Muttenthaler vom Institut für Biologische Chemie sucht im Reich der Tiergifte nach neuen Ansätzen, um Erkrankungen des zentralen Nervensystems besser verstehen und behandeln zu können. Das Projekt wird über das erstmals ausgeschriebene FWF 1000-Ideen-Programm für besonders gewagte oder originelle Forschungsvorhaben gefördert.

Die Blut-Hirn-Schranke ist eine wichtige Barriere zwischen dem Blutkreislauf und dem zentralen Nervensystem. Sie reguliert das Durchkommen von Substanzen wie etwa Nährstoffen (die die Barriere passieren dürfen) und etwa auch Giftstoffen (die zum Schutz des Organismus zurückgehalten werden). Diese lebenswichtige Funktion stellt die Wirkstoffforschung im Bereich neurologischer Erkrankungen vor große Herausforderungen: Die Blut-Hirn-Schranke lässt nur wenige Wirkstoffkandidaten passieren.

Für Wirkstoffe (zu) große Hürde

Evolutionär haben sich Tiergifte zu sehr effizienten bioaktiven Stoffen entwickelt, die im Zusammenhang mit der räuberischen Jagd oder Verteidigung gezielt das zentrale Nervensystem der Gegner angreifen. Die Gift-Peptide bieten damit der Wirkstoffforschung und Medikamentenentwicklung einen hoch interessanten, wenn auch bisher kaum erkundeten Ansatz für ein besseres Verständnis neurologischer Erkrankungen und neuartige Therapiekonzepte.

"Mehr als 98 Prozent der Wirkstoffkandidaten für Gehirnerkrankungen finden keine Anwendung, da sie die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren und ihre Zielrezeptoren nicht erreichen können", sagt Medizinchemiker Markus Muttenthaler: "Wir wollen erstmals systematisch nach Peptiden suchen, die die Blut-Hirnschranke überwinden können und ihre Struktur, Bioaktivität und Toxizität charakterisieren, um neue Wirkstoff-Delivery-Systeme für Studien im Bereich neurologischer Erkrankungen zu finden." Die die Blut-Hirn-Schranke passierenden Moleküle der Tiergifte könnten etwa als Shuttle dienen, um Wirkstoffe einzuschleusen. Neue Transportwege für Wirkstoffe durch die Blut-Hirn-Schranke würden ganz neue Horizonte für die Forschung und die Behandlungsmöglichkeiten von Gehirnerkrankungen erschließen.

Im 1000-Ideen-Programm erfolgreich

Das Projekt von Markus Muttenthaler, ERC-Preisträger und Leiter von Arbeitsgruppen am Institut für Biologische Chemie der Universität Wien sowie an der University of Queensland in Brisbane, ist eines von 24 Projekten, die im Rahmen des erstmals ausgeschriebenen 1000-Ideen-Programm vom FWF gefördert werden. Insgesamt reichten 402 Forschende Projektideen mit einem Volumen von 56,58 Millionen Euro ein.

Beispiel für ein Giftpeptid: Conotoxine sind strukturierte Peptide aus einem Nervengift, welches Kegelschnecken zum Beutefang und zur Abwehr von Feinden produzieren. (Copyright: Markus Muttenthaler)