Schwefel – Tausendsassa der Organik

13.08.2019

Organoschwefelverbindungen spielen seit jeher eine wichtige Rolle bei der Herstellung organischer Stoffe und bei der Entwicklung neuartiger chemischer Strukturen. Besonders Schwefel-Verbindungen der Oxidationsstufe +IV ermöglichen es ChemikerInnen, eine Vielzahl von Reaktionstypen für die Synthese zu nutzen. In einem Überblicksartikel in der Fachzeitschrift "Chemical Reviews" beleuchten Forscher um Nuno Maulide vom Institut für Organische Chemie jüngste Entwicklungen und bieten Einblick in die breite Reaktionspalette, die mit dem vielseitigen Element zur Verfügung steht.

Organoschwefelverbindungen mit einem Schwefel(IV)-Zentrum werden seit über 100 Jahren untersucht. Schwefel(IV)-Verbindungen können dabei vergleichsweise leicht eine Vielzahl von Transformationen wie Umlagerungen, Redoxprozesse, Kreuzkupplungen oder Radikalreaktionen bewirken. Organische Chemiker nutzen die Vielseitigkeit des Schwefels z.B. bei der sogenannten Pummerer-Umlagerung, die zur Herstellung von α-Acyloxysulfiden führt, oder bei der Mislow-Evans-Umlagerung oder Stevens-Umlagerung – allesamt heutige Standardreaktionen.

"Schwefel begegnet uns Organischen Chemikern ständig. Es gibt hier sehr viele Namensreaktionen und auch als Reagenzien kommen Schwefelverbindungen häufig vor. Die Schwefel(IV)-Verbindungen haben dabei diese besondere Triebkraft, zu Schwefel(II)-Verbindungen zu werden", sagt Studienautor Immo Klose. Das bringe großen Nutzen die Reaktion voranzutreiben, beispielsweise lassen sich so auch vergleichsweise anspruchsvolle Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen mittels einer Umlagerungsreaktion knüpfen.

Vier Gruppen

In ihrem Beitrag beschränkten sich die Forscher auf Schwefel(IV) mit S–C oder S–O-Verbindungen: also Sulfoxide - ein natürlicher Inhaltsstoff von Zwiebel und Knoblauch - und Sulfoniumsalze, die auch im Körper als Alkylierungsreagenz der Natur vorkommen, sowie Schwefelylide und Sulfinsäurederivate.

"In dem Artikel mussten wir uns schon alleine aufgrund der großen Vielfalt an bisher entwickelten Reaktionstypen auf Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre konzentrieren – wir kommen in diesem Zeitraum bereits auf knapp 600 Referenzen", sagt Immo Klose. Der ÖAW-DOC-Stipendiat arbeitet im Rahmen seiner Dissertation an Vinyl-Sulfoxiden als Reagenzien für die 1,4-Dicarbonyl-Synthese mittels Chiralitätstransfer.

"Nutzen nicht ausgeschöpft"

Die Organischen Chemiker der Uni Wien entwickelten auch bereits ein neues Verfahren, enantiomerenreine Produkte ausgehend von oxidierten Schwefelverbindungen zu synthetisieren, was einen neuen Zugang zu nur sehr schwer synthetisierbaren Dicarbonylen darstellt, eine zentrale Verbindung in vielen Naturprodukten und Medikamenten.

"Obwohl Schwefel(IV)-Verbindungen eine reiche und fruchtbare Geschichte im Zusammenhang mit der organischen Synthese haben", schreiben die Forscher im Beitrag, habe man zeigen können, "dass ihre chemische Reaktivität und ihr potenzieller Nutzen für synthetische Chemiker noch lange nicht erschöpft ist".


PUBLIKATION: Bond-Forming and -Breaking Reactions at Sulfur(IV): Sulfoxides, Sulfonium Salts, Sulfur Ylides, and Sulfinate Salts, Daniel Kaiser, Immo Klose, Rik Oost, James Neuhaus and Nuno Maulide, in: Chemical Reviews 2019, https://doi.org/10.1021/acs.chemrev.9b00111

Schwefel(IV)-Verbindungen aus der Natur und als Pharmazeutika (Copyright: Immo Klose/ Universität Wien).