Simulation von Freien Energie-Unterschieden

16.09.2019

Stefan Boresch vom Institut für Computergestützte Biologische Chemie sucht in Zusammenarbeit mit US-ForscherInnen nach effizienten Simulationsmethoden für Protein-Ligand-Wechselwirkungen, die für die pharmazeutische Forschung und Industrie immer wichtiger werden.

Neben dem Experiment und der Theorie liefert heute die Computersimulation zentrale Beiträge, um chemische Prozesse wie etwa die Wechselwirkungen zwischen Molekülen zu enthüllen. Die genaue und effiziente Berechnung von Freien Energie-Unterschieden ist aber bis dato eine große Herausforderung für die Forschung. Diese Lücke will ein von der US-Behörde National Institutes of Health (NIH) gefördertes Projekt unter Leitung von Henry Lee Woodcock (University of South Florida) und unter Beteiligung von Stefan Boresch schließen.

Weiß man beispielsweise, wie sich die Freie Energie bei einem Bindungsvorgang ändert, so kann man voraussagen, ob bzw. wie stark ein Ligand, ein Wirkstoff, an ein Rezeptorprotein bindet. Für ihre Freie-Energie-Rechnungen setzen die Forscher auf eine Kombination von quantenmechanischen (QM) und molekularmechanischen (MM) Techniken.

Beobachtung über lange Zeiträume

Molekularmechanische (MM) Methoden sind der traditionelle Weg zur Simulation von Biomolekülen. Dabei werden biomolekulare Systeme mit einem sehr vereinfachten Modell beschrieben. Der Vorteil der Molekularmechanik ist, dass man Struktur und Dynamik über sehr lange Zeiträume bei vergleichsweise geringem Rechenaufwand beobachten kann. Lange Beobachtungszeiträume liefern die Grundlage, um biologische Makromoleküle zu verstehen und Freie Energie-Unterschiede korrekt zu berechnen.

"Die Quantenmechanik liefert uns hingegen die Genauigkeit, die für viele Anwendungen unumgänglich sind. Um aber mit ihr die nötigen Simulationslängen zur Berechnung von Freien Energie-Unterschieden in biomolekularen Systemen zu erreichen, ist der Rechenaufwand auf absehbare Zukunft einfach viel zu hoch", erläutert Stefan Boresch, stellvertretender Institutsleiter: "Selbst die direkte Verwendung von QM/MM-Hybridverfahren ist zu aufwendig. Darin liegt die Herausforderung."

Durch die Kombination von MM und QM/MM-Hybridverfahren wollen Stefan Boresch und sein US-Kollege Henry Lee Woodcock mit ihren Teams die Berechnung und Vorhersage von Freien Energie-Unterschieden in biomolekularen Systemen "mit vertretbarem Rechenaufwand" etablieren.

Suche nach "gutem Trick"

Für ihre Beiträge zur Verknüpfung von klassischen Methoden mit quantenphysikalischen Theorien erhielten 2013 drei Forscher den Chemie-Nobelpreis. Stefan Boresch hat bei Martin Karplus, einem der Preisträger, dissertiert und an der renommierten Harvard University geforscht.

"Die große Herausforderung bei der Nutzung von QM/MM-Hybridverfahren für Freie-Energie-Rechnungen ist es, die Genauigkeit quantenchemischer Rechnungen mit genügend langen Simulationen zu kombinieren", so Boresch, der seit 2012 mit Henry Lee Woodcock an der Lösung des Problems arbeitet: "Es ist komplizierter, als wir anfänglich geglaubt haben. Wir brauchen dafür einen richtig guten Trick – damit meine ich Kombinationen von Algorithmen und Theorie."

Overall, the combination of expertise between the partners is essential for the success of this project. For example, Stefan is a leading expert in classical free energy simulation, while I have been developing and applying state-of-the-art QM/MM methods since graduate school.

US-Projektpartner Henry Lee Woodcock im Rahmen seines alljährlichen Wienbesuches

Relevanz für Wirkstoffentwicklung

"Seit einigen Jahren gelten rechnergestützte Methoden als effizienter Weg, aus Datenbanken relativ schnell potenzielle Medikamente herauszufiltern und z.B. Millionen von Verbindungen auf zehntausend potenziell wertvolle Verbindungen einzuengen", sagt Boresch. Insbesondere die Kombination rechnergestützter Methoden mit experimentellen Methoden brächte rasch Hinweise auf Leitverbindungen in der Medikamentenentwicklung.

Die Optimierung der Leitverbindungen, z.B. ihrer Bindungsaffinität, sei dann häufig das nächste Ziel: "Hier kommen mittlerweile unsere Techniken ins Spiel", so Boresch: "Sie können Wege aufzeigen, welchen Verbindungen man weiter nachgehen soll. Freie-Energie-Rechnungen werden für die pharmazeutische Forschung und Industrie immer wichtiger."

"Der erfolgreiche Abschluss unserer Forschung sollte künftig die Anwendung von QM/MM-Freie-Energie-Simulationen fast zur Routine werden lassen und es - ermöglichen, Herausforderungen anzugehen, die heute noch nicht zu bewältigen sind", ergänzt Woodcock.


SERVICE: NIH-funded project Design and Application of Robust and Efficient QM/MM Free Energy Simulation Methods for Biomolecular Systems (5R01GM129519-02), Principal Investigator: Henry Lee Woodcock (University of South Florida), Sub Contractor: Stefan Boresch (University of Vienna)

Chemiker Stefan Boresch sucht nach Wegen, Freie Energie-Unterschiede genau und effizient zu berechnen (Copyright: Fakultät für Chemie).