Bioanorganische Chemie: Wenn Kleines Großes bewirkt

21.06.2022

Die bioanorganische Chemikerin Sabine Becker ist seit 15. April als Gastprofessorin an der Fakultät für Chemie tätig. Die Junior-Professorin von der TU Kaiserslautern entwickelt umweltfreundlichere Kupfer- und Eisenkatalysatoren – als ein Kernthema der Anorganik – und bewegt sich zugleich in der noch relativ jungen Metalloneurochemie.

Mit welchen Erwartungen sind Sie an die Chemie der Universität Wien gekommen?

Ich war im Jahr 2018 bereits einmal im Rahmen eines Institutsseminars als Vortragende hier. Mich haben die interdisziplinären Möglichkeiten an dieser Fakultät besonders fasziniert. Wissenschaft lebt vom Austausch. In Deutschland habe ich mit meinem Arbeitsschwerpunkt im Bereich anorganischer Chemie und dem bioinspiriertem Katalysatoren-Design bereits viele Anknüpfungspunkte an der TU Kaiserslautern.

Mein zweiter Arbeitsschwerpunkt ist die Bioanorganik, genauer die Untersuchung von Metallen in unserem zentralen Nervensystem, und in diesem Bereich ergeben sich etwa hier in Wien tolle neue Möglichkeiten zur Kooperation und zum Austausch.

Was fasziniert Sie an der Schnittstelle von anorganischer und biologischer Chemie?

Ganz allgemein fasziniert mich an der Chemie, dass man auf molekularer Ebene Veränderungen durchführen kann, die dann z.B. in einem Organismus große Auswirkungen haben. Mit Blick auf die Bioanorganik fasziniert mich, dass kleine Metallionen im Prinzip das Leben antreiben. Da stellt sich mir gleich auch die große Frage, wie das Denken oder das Erinnern – auf molekularer Ebene – funktioniert. Diese großen Fragen können nur interdisziplinär, also durch den Zusammenschluss von Biologie und Anorganik, geklärt werden.

Sie suchen in Ihrer Forschung u.a. nach der Rolle von Zink-Ionen bei der Signalübertragung. Welche Herausforderungen stellen sich hier?

Man weiß seit den 1960er Jahren, dass es hohe Zinkvorkommen im Gehirn gibt. Zink ist spektroskopisch schwer nachzuweisen. Seit 20 Jahren werden hierfür spezielle Werkzeuge wie Fluoreszenzsensoren entwickelt und beständig weiterentwickelt. Damit wurde die Metalloneurochemie als Forschungsrichtung geprägt:

Metall-Ionen spielen eine grundlegende Rolle bei der Sinneswahrnehmung, dem Lernen und der Gedächtnisfunktion."

Bei vielen neurodegenerativen Krankheiten ist die "normale" Konzentration von Metallionen im Gehirn nicht gegeben, wie die Forschung bereits zeigen konnte. Je nach Metallion ist die Konzentration höher oder tiefer. Wir wissen aber nicht, ob dies Ursache oder Wirkung ist.

Doch auch die Signalübertragung unter normalen Umständen ist nach wie vor wenig verstanden. So hoffen wir, mit einem besseren Verständnis der Rolle von Metall-Ionen bei diesen Prozessen auch ein besseres Verständnis der neurodegenerativen Prozesse zu gewinnen. Dieser Bereich trifft übrigens auch bei den Studierenden auf sehr großes Interesse!

Was steht bei Ihrem zweiten großen Forschungsschwerpunkt, der Entwicklung von bioinspirierten Katalysatoren, im Fokus?

Viele Katalysatoren, die in der Industrie verwendet werden, benötigen dennoch hohe Temperaturen und hohe Drücke. Ziel ist es, Katalysatoren zu entwickeln, die nachhaltiger sind, also mit weniger Energieaufwand die Reaktion katalysieren können. Wir fokussieren uns hier auf die etwas umweltfreundlicheren Metalle Eisen und Kupfer (Inorg. Chem, doi: 10.1021/acs.inorgchem.5b02576) – anstelle von Edelmetallen wie bspw. Iridium – und suchen nach neuen Katalysatoren für Systeme, die mehrere katalytisch aktive Zentren haben.

Ein wichtiges Forschungsergebnis ist zum Beispiel die Entwicklung eines Katalysators, mit dem man auf einfachem Weg Adipinsäure, ein wichtiger Rohstoff - etwa für Nylon - in der Industrie, herstellen kann (EurJIC, doi: 10.1002/ejic.201901052).

Wo lassen sich Ihre zwei vermeintlich sehr unterschiedlichen Forschungsschwerpunkte wieder vereinen?

Durch die Koordinationschemie und die Arbeit im Labor, denn hier sind die Untersuchungsansätze und Methoden wieder mehr oder weniger dieselben!


Jun.-Prof. Dr. Sabine Becker ist als bioanorganische Chemikerin an der Technischen Universität Kaiserslautern tätig. Mit ihrer Gruppe von etwa 6 Doktorats- und Master-Studierenden konzentriert sie sich einerseits auf die Katalyse mittels mehrkerniger Kupfer- und Eisenkomplexe und andererseits auf die Darstellung von Chelatoren und Fluoreszenzsensoren zur Untersuchung von Metallionen im zentralen Nervensystem. Von Mitte April bis Ende Juni ist sie als Gastprofessorin an der Fakultät für Chemie der Universität Wien tätig. Im Rahmen des Masterstudiums Chemie hält die Forscherin die Vorlesung „Konzepte der bioanorganischen Chemie“; im Rahmen des Frühlingsfestes am 9. Mai hielt sie den Vortrag „Multifaceted Bioinorganic Chemistry - From small molecule activation to zinc imaging in live cells”.
https://www.chemie.uni-kl.de/ag-becker/forschungsgruppe/jun-prof-dr-sabine-becker

Sabine Becker, bioanorganische Chemikerin, ist derzeit als Gastprofessorin an der Fakultät für Chemie tätig. (© Jonathan Becker)