Multiomics: "Uns fehlt noch eine Art Newtonsches Grundgesetz"

14.05.2020

Der theoretische Systembiologe Jürgen Zanghellini modelliert Zellen und simuliert ihre Eignung als Zellfabriken. Als neuer Professor für Chemische Bioinformatik und Netzwerk-Analysen der Fakultät für Chemie möchte er seine Werkzeuge dafür einsetzen, um das Zusammenspiel von Genom, Proteom und Metabolom effizienter aufzuzeigen und besser nutzbar zu machen.

Das postgenomische Zeitalter hat verdeutlicht, wie komplex die Wechselwirkungen auf zellulärer Ebene sind. Mit den Hochdurchsatz-Technologien aus der Genomik, Proteomik und Metabolomik können Forscher*innen nun sehr präzise molekulare Profile von Zellen und Gewebe erstellen und damit auch Krankheiten wie z.B. Stoffwechselstörungen oder Krebs besser untersuchen.

"Für unser heutiges Grundverständnis über biologische Systeme sehe ich nicht die Datenerhebung als Flaschenhals. Es geht vielmehr darum, die Unmengen der erhobenen quantitativen Daten automatisiert schneller und effizienter abzuarbeiten, zu interpretieren und zu verstehen", sagt Jürgen Zanghellini, der mit Februar seine Professur an der Universität Wien angetreten hat.

Rechenpower für Datenanalyse

Multiomics integriert die Datensätze aus den verschiedenen Omics-Disziplinen. Um die Zusammenhänge aus der Genomik, Proteomik und Metabolomik zu erkennen, "fehlt uns noch eine Art »Newtonsches Grundgesetz«", meint Zanghellini. Also eine allgemeingültige Beschreibung, mit der sich die verschiedenen Kopplungen abbilden ließen, z.B. wie Proteine den Umsatz von Lipiden regulieren.

Seine mathematischen Netzwerkmodelle baut Zanghellini daher auf dem Metabolismus der Zelle, der sich heute schon exzellent beschreiben lässt, auf: "Auf dieses Fundament übertragen wir dann die Hochdurchsatz-Daten aus den Omics-Disziplinen", erzählt Zanghellini:

Wir versuchen, einen gemeinsamen, mechanistischen Interpretationsrahmen für die verschiedenen Omics-Daten zu schaffen. 

Der Forscher und sein Team führen ihre Rechnungen über den Vienna Scientific Cluster wie auch über einen eigenen Supercomputer aus. "Auch für die Lehre im Bereich Data Sciences werden wir einen größeren Rechner mitbringen", sagt Zanghellini. Idee sei es, dass sich Studierende dann künftig mit ihren eigenen (mobilen) Geräten auf dem bereitgestellten Server einloggen, um dort – ohne sich um Installations- und Kompatibilitätsprobleme kümmern zu müssen – Programmieren zu lernen. 

Anbindung an Kompetenzzentrum ACIB

Mit seiner Gruppe metabolic modelling am Austrian Centre of Industrial Biotechnology (ACIB) in Wien konzentrierte sich Zanghellini bisher auf mathematische Modelle, um Zellfabriken zu designen, die bestimmte Produkte wie etwa pharmazeutisch relevante Proteine mit hoher Rate bilden. Er forschte an Hefe-Zellen und Chinese Hamster Ovary-Zellen, gängigen Modell- und Produktionsorganismen in der Biotechnologie.

"Unsere Methoden möchte ich nun stärker bei menschlichen Zellen, besonders Krebszellen, anwenden und etablieren", so der Forscher. Sie könnten z.B. nutzen, um Wirkstoffe zu testen und Kombinationen von Wirkstoffen auszurechnen, die Krebszellen bekämpfen und gesunde Zellen bestmöglich schonen.

Mit Zanghellinis Wechsel an die Universität Wien ist die Fakultät für Chemie nun auch Partner im von der FFG geförderten Kompetenzzentrum ACIB und hat so Zugang zur dortigen Infrastruktur.


Univ.-Prof. Dr. Jürgen Zanghellini ist Professor für Chemische Bioinformatik und Netzwerk-Analysen der Fakultät für Chemie. Nach dem Studium der Elektrotechnik promovierte er an der Technischen Universität Wien und University of Ottawa, Ontario im Bereich Theoretische Physik. Nach Forschungsaufenthalten an der Universität Graz und am Australian Centre for Plant Functional Genomics in Adelaide war er zuletzt Leiter der Arbeitsgruppe Metabolic Modeling am Austrian Centre of Industrial Biotechnology in Wien.

Jürgen Zanghellini ist seit Februar Professor für Chemische Bioinformatik und Netzwerk-Analysen der Fakultät für Chemie (© D. Iurashev)