Zuverlässigere Filme von molekularen Bewegungen

23.04.2020

Kombination von Computersimulationen und zwei Experimenten ermöglicht genaue Beobachtung von Kern- und Elektronenbewegung

Photochemische Reaktionen spielen z.B. bei Sonnenschutz, lichtbeständigen Materialien oder der Gewinnung von Energie aus Licht eine zentrale Rolle. Wie die Wechselwirkung von UV-Licht und Materie zur Spaltung von Molekülen führt, konnte nun ein internationales Team unter Beteiligung von Philipp Marquetand von der Fakultät für Chemie der Universität Wien mit einem neuartigen Verfahren genau beobachten. Über die Kombination zweier etablierter Experimentalmethoden und von Simulationen ließen sich sowohl die Kern- wie auch die Elektronenbewegungen des durch UV-Licht angeregten Moleküls verfolgen. Das neuartige Verfahren zur Erstellung der "molekularen Filmen" stellten die Forscher*innen im Fachjournal "Physical Review X" vor.

Absorbiert ein Molekül UV-Licht, wird es angeregt. Es kommt zum Energieaustausch zwischen seinen Kernen und Elektronen wie auch strukturellen Änderungen. Die molekulare Dynamik erschließt sich der Forschung nur indirekt über das Experiment. Je nach angewandter Methode konnte bisher entweder die Bewegung der Elektronen oder jene der Kerne genauer betrachtet werden.

Anhand von Diiodmethan (CH2I2), einem atmosphärenrelevanten Molekül, stellten die Physiker*innen und Chemiker*innen einen neuen Ansatz vor: "Unter Einwirkung von UV-Licht bricht ein Iod-Atom vom Molekül ab und das Restfragment beginnt zu rotieren. Über die Kombination von spektroskopischen und strukturellen Analysemethoden sowie Theorie konnten wir die molekulare Dynamik relativ vollständig beschreiben", sagt Philipp Marquetand vom Institut für Theoretische Chemie.

Ultraschnelle Bewegung

Die Bewegungen von Molekülen lassen sich im Labor durch die Analyse verschiedener Signale nachvollziehen. Mit Hilfe der Photoionisation (TRPES, time-resolved photoelectron spectroscopy) studierte ein Team um den US-Physiker Thomas Weinacht (Stony Brook), wie sich die Elektronen des Diiodmethans nach dem Beschuss mit UV-Licht verhalten.

Ein zweites Team um den US-Physiker Xijie Wang (Stanford) untersuchte mittels ultraschneller Elektronenbeugung (UED) die Bewegung der Kerne im Femtosekunden-Bereich (1 Femtosekunde = millionster Teil einer milliardsteln Sekunde).

Direktes Bild von Kern- und Elektronenbewegungen

"Wir haben die Experimente am Computer simuliert und Aspekte wie die Positionen der Kerne über die Zeit sowie die Quantenenergielevel der Elektronen unserer Simulation mit jenen aus den zwei Experimenten verglichen. Das ist das erste Mal, dass sowohl UED als auch TRPES mit einer Theorie kombiniert wurden, die in der Lage ist, die Beobachtungswerte in beiden Fällen zu berechnen. Das hat erfolgreich einen direkten Blick auf die molekulare Dynamik ermöglicht", so Philipp Marquetand, der mit seiner Wiener Gruppe auf die Simulation chemischer Reaktionen in Echtzeit spezialisiert ist.

Das neuartige Verfahren zur Erstellung "molekularer Filme" ist ein starker Beleg für die Synergien zwischen Experimentalmethoden und Theorie und könnte auch einen Ansatz für die jüngst gestartete Forschungsplattform ViRAPID (Vienna Research Platform on Accelerating Photoreaction Discovery) sein – eine Initiative von Chemiker*innen, Physiker*innen und Mathematiker*innen der Universität Wien.


S E R V I C E: Spectroscopic and structural probing of excited-state molecular dynamics with time-resolved photoelectron spectroscopy and ultrafast electron diffraction, in Phys. Rev. X, Yusong Liu, Spencer L. Horton, Jie Yang, J. Pedro F. Nunes, Xiaozhe Shen, Thomas J. A. Wolf, Ruaridh Forbes, Chuan Cheng, Bryan Moore, Martin Centurion, Kareem Hegazy, Renkai Li, Ming-Fu Lin, Albert Stolow, Paul Hockett, Tamás Rozgonyi, Philipp Marquetand, Xijie Wang, and Thomas Weinacht, https://journals.aps.org/prx/abstract/10.1103/PhysRevX.10.021016 

Zuverlässigere und direkte Beobachtung von Kern- und Elektronenbewegungen (Copyright: Philipp Marquetand)