Stärke der Elektronenkristallographie

30.07.2021

Tim Grüne, Leiter des Zentrums für Röntgenstrukturanalyse, und Kollegen haben jüngst in einem Übersichtsartikel in "Nature Reviews Chemistry" dargestellt, was die Elektronenkristallographie als neue Messtechnik an weitreichenden Möglichkeiten mit sich bringt.

Für Naturwissenschaftler*innen vieler Disziplinen ist die Kristallstruktur ein essentieller Bestandteil ihrer Forschung. Die Kristallstruktur zeigt an, wo im Molekül welches Atom angeordnet ist, und liefert ein atomares dreidimensionales Bild. Am weitesten fortgeschritten ist die Kristallographie mithilfe von Röntgenstrahlen und viele Institute haben eigens zentrale Einrichtungen geschaffen, um mit der Expertise von Kristallograph*innen den hohen Durchsatz and Messungen stemmen zu können.

Eher neu ist, dass man Kristallstrukturen auch mit Elektronen-, statt mit Röntgenstrahlen messen kann. Tim Grüne, Leiter des Zentrums für Röntgenstrukturanalyse der Fakultät, und Kollegen haben nun in einem Übersichtsartikel in "Nature Reviews Chemistry" dargestellt, wie sich Forschungsinstitute diese neue Messtechnik zu eigen machen und welche Neuerungen wir in Zukunft erwarten können.

Kristalle kleiner als Körnchen in Puderzucker

"Der Austausch von Röntgen durch Elektronen hat den Vorteil, dass damit Kristalle messbar werden, die so winzig sind, dass Röntgenstrahlen kein messbares Signal erzeugen", so Autor Tim Grüne. Solche Kristalle sind kleiner als die Körnchen in Puderzucker und zu klein, um sie mit einem Lichtmikroskop sehen zu können. "Mit Elektronen betrachtet sind sie aber groß und lassen sich genauso gut messen wie ihre großen Kollegen."

Aber nicht nur das Sichtbarmachen des Unsichtbaren ist eine Stärke der Elektronenkristallographie. Elektronen "spüren" feine Ladungsunterschiede, während sie durch das Kristall schießen. Diese Fähigkeit erlaubt es, Oxidationszustände im Kristall experimentell zu bestimmen - eine Möglichkeit, die es bislang nicht gab.

Oxidationszustände sind grundlegend für viele chemische Reaktionen, und ihre experimentelle Bestimmung eröffnet völlig neuartige Forschungsmöglichkeiten im Bereich der Batterieforschung, der Katalysatorforschung, der Nutzbarmachung erneuerbarer Energien und der Medikamentenentwicklung. "Wir sind gespannt, welche Türen uns die Elektronenkristallographie noch öffnen wird", so Tim Grüne vom Institut für Anorganische Chemie.

Publikation in "Nature Reviews Chemistry"
"Establishing electron diffraction in chemical crystallography", Tim Grüne, Julian J. Holstein, Guido H. Clever & Bernhard Keppler, Nature Reviews Chemistry 2021, DOI https://doi.org/10.1038/s41570-021-00302-4

Das neu entstehende Gebiet der 3D-Elektronenbeugung eröffnet neue Möglichkeiten für die Strukturbestimmung von Kristallen mit einer Größe von weniger als einem Mikrometer. (© Tim Gruene)