Die ultraschnelle elektrische Aufladung von Flüssigkeiten erforschen
24. April 2025
Ein starker Laserpuls heizt eine Oberfläche auf und stört die elektrische Doppelschicht, die aus positiven H3O+ (drei weiße Wasserstoffatome, die an ein rotes Sauerstoffatom gebunden sind) an der Oberfläche und negativen (Cl-, grüne Kugeln) Ionen direkt unter der Oberfläche besteht. Wissenschaftler*innen des MPI für Polymerforschung und der Universität Wien haben die Zeit gemessen, die die Schicht benötigt, um sich neu anzuordnen, was für ein tieferes Verständnis verschiedener Prozesse, z. B. in Batterien, wichtig ist. (© Max-Planck-Institut für Polymerforschung Mainz)
Eine neue Messmethode ermöglicht erstmals Einblicke in die elektrische Aufladung von Flüssigkeiten an Grenzflächen.
Geladene Oberflächen, die mit Flüssigkeiten in Kontakt kommen – wie biologische Zellwände oder Batterieelektroden – ziehen entgegengesetzt geladene Ionen aus der Flüssigkeit an. Dadurch entstehen zwei deutlich unterschiedliche, geladene Bereiche: die Oberfläche selbst und ein entgegengesetzt geladener Bereich in der Flüssigkeit: die sogenannte elektrische Doppelschicht. Obwohl sie für die Energiespeicherung von entscheidender Bedeutung ist, war die Geschwindigkeit ihrer Bildung bisher nicht bekannt. Ein Forscherteam hat nun eine lichtbasierte Technik entwickelt, um diesen ultraschnellen Prozess zu beobachten. Die Ergebnisse bestätigen frühere Modelle und erweitern ihre Anwendbarkeit auf verschiedene Systeme, von biologischen Membranen bis hin zu Energiespeicher der nächsten Generation.
Ob in den Batterien von Elektroautos, in denen Ladungsträger beim Laden getrennt werden, um Energie für den Antrieb bereitzustellen, in Elektrolytkondensatoren, die in fast jedem elektronischen Gerät zu finden sind, oder bei der Elektrolyse, bei der Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird: Bei all diesen technologischen Prozessen müssen sich Ladungsträger in Flüssigkeiten zu einer Grenzfläche bewegen. Solche Prozesse finden sich auch in biologischen Prozessen im menschlichen Körper und werden zur Energiespeicherung genutzt.
Allen Prozessen ist gemeinsam, dass sich an einer Grenzfläche eine sogenannte „elektrische Doppelschicht“ bildet – an den Polen der Batterie, an den Platten des Kondensators, den Elektroden bei der Elektrolyse oder an der Zellmembran. Während eine Seite – z. B. die Elektrode – negativ geladen ist, befindet sich die entsprechende positive Ladung in Form von beweglichen Ionen auf der flüssigen Seite. Wie schnell sich diese nur wenige Nanometer dicken Doppelschichten bilden können oder wie schnell sie auf eine Störung reagieren, ist wichtig, um zu verstehen, wie schnell ein Energiespeicher die elektrische Energie aufnehmen und abgeben kann, beispielsweise für Anwendungen wie das Laden von Batterien.
Grenzen bisheriger Modelle
Für eine geringe Anzahl mobiler Ladungsträger haben theoretische Modelle und Messungen diese Dynamik schon lange vorhergesagt und können die Bewegung von Ionen in dieser Doppelschicht gut beschreiben. Wird die Anzahl der Ladungsträger jedoch erhöht, wie es in biologischen Systemen der Fall ist und auch für Batterien notwendig ist, brechen die Annahmen dieser Modelle zusammen. Daher ist es ein bisher ungelöstes Rätsel, wie genau sich die elektrischen Doppelschichten bilden.
„Bisher war es nicht möglich, die genauen Prozesse bei der Bildung der Doppelschicht zu untersuchen“, sagt Mischa Bonn, Direktor am MPI für Polymerforschung. “Es ist einfach nicht möglich, mit elektronischen Schaltkreisen Prozesse zu untersuchen, die so schnell ablaufen wie die Bewegung von Ionen, da die Schaltkreise selbst nur eine begrenzte zeitliche Auflösung bieten können. Wir verwenden ultraschnelle Spektroskopie, um diese Einschränkung zu umgehen.“
Optische Messmethode eröffnet neue Möglichkeiten
Das Team des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung und der Universität Wien nutzte daher eine optische Messmethode, um die Bildung der Doppelschicht zu untersuchen. Zu diesem Zweck gaben sie Säure in Wasser, wodurch sich positive Ionen (H3O+) bilden. Diese Ionen ordnen sich bevorzugt an der Wasseroberfläche an, wo sie eine elektrische Doppelschicht bilden. „Ein starker Laserpuls im Infrarotbereich wurde verwendet, um die Oberfläche zu erhitzen, wodurch H3O+ von der Oberfläche entfernt und die Doppelschicht gestört wurde“, erklärt Ellen Backus, Professorin für Physikalische Chemie an der Universität Wien. „Durch die Untersuchung der Oberfläche mit weiteren Laserpulsen nach einer gewissen Zeitverzögerung und die Erfassung des reflektierten Lichts konnten wir quantifizieren, wie sich die Ionen von der Oberfläche entfernten, um ein neues Gleichgewicht zu erreichen.“
Die Forschenden kombinierten ihre experimentellen Ergebnisse mit Computersimulationen. So konnten sie nachweisen, dass die Bildung der Doppelschicht auch bei hohen Konzentrationen hauptsächlich durch elektrische Felder verursacht wird.
Die neue Methodik, die sie nun in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht haben, eröffnet neue Möglichkeiten, solche Prozesse an Grenzflächen in einer Vielzahl von chemischen und biologischen Systemen zu untersuchen. Darüber hinaus stellte das Team fest, dass sich auch komplexe Grenzflächensysteme mit relativ einfachen physikalischen Modellen beschreiben lassen. Sie bestätigen, dass die existierenden theoretischen Modelle die Bildung der Doppelschicht bemerkenswert genau beschreiben.
Originalpublikation:
Greco, A., Imoto, S., Backus, E.H.G, Nagata, Y., Hunger, J., Bonn, M. (2025) Ultrafast aqueous electric double layer dynamics. In Science.
Wissenschaftlicher Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Ellen H.G. Backus
Fakultät für Chemie, Institut für Physikalische Chemie
Universität Wien
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+43-664-8176714
ellen.backus@univie.ac.at
Arbeitsgruppe Ultraschnelle und Nichtlineare Spektroskopie