Computergestützte Chemie und ihre Möglichkeiten

10.03.2022

Mit März wurde Christian Schröder, bisher assoziierter Professor am Institut für Computergestützte Biologische Chemie, im Rahmen des uniweiten §99 Abs. 4-Verfahrens zum "Full Professor" berufen. Wir haben dem Chemiker anlässlich seiner Berufung fünf Fragen gestellt.

Was steht im Fokus Ihrer Professur?

Chemie findet meist nicht im Vakuum statt. Lösungsmittel haben einen großen Einfluss auf die Reaktivität, Selektivität und Reaktionsgeschwindigkeit. Ich interessiere mich besonders für die Wechselwirkungen von verschiedenen Lösungsmitteln mit den gelösten Stoffen. Letzteres können Proteine, DNA oder Polymere sein, oder auch bestimmte Moleküle, die als Vorstufen für wichtige Medikamente dienen.

Als besonders vielseitig haben sich dabei ionische Flüssigkeiten herausgestellt. Sie sind Salze, die bei Raumtemperatur flüssig sind, ohne ein weiteres Lösungsmittel hinzu zu geben. Ionische Flüssigkeiten können polare und apolare Stoffe lösen. Sie können verschiedenste Strukturen, wie beispielsweise Micellen oder reverse Micellen, in anderen Lösungsmitteln bilden. Diese Vielfalt fasziniert mich.

Welche Rolle nimmt heute die computergestützte Chemie in Ergänzung zur experimentellen Forschung ein?

Die verschiedenen Gebiete der Theoretischen Chemie helfen Wissenschaftler*innen heute, das Verhalten von Molekülen in bestimmten Umgebungen zu verstehen und ihre Interaktionen vorherzusagen. So können effizientere und umweltfreundlichere Stoffe erforscht werden, ohne wichtige Ressourcen aus der Natur zu verschwenden.

Computergestützte Chemie kann aber noch viel mehr. Wir leisten einen wichtigen Beitrag zur Grundlagenforschung. Darüber hinaus sind die experimentellen Ergebnisse oft sehr komplex und eine Interpretation schwierig. Hier helfen die Simulationen am Computer, die Informationen auf bestimmte Moleküle oder Eigenschaften von Materie zurückzuführen. Häufig überlappen sich die Beiträge von verschiedenen Molekülen. Das Experiment kann nur die Gesamtwirkung sehen. Am Computer können dann die Teilbeiträge separat untersucht werden und tragen so zum Verständnis und zur vollständigen Interpretation der gesamten Daten bei.

Inwiefern spielen bei Ihrer Forschung Aspekte der Nachhaltigkeit eine Rolle?

Außer Strom belasten unsere Simulationen nicht die Umwelt. Wir können tausende von Molekülen und deren Modifikationen untersuchen, ob sie für einen bestimmten Prozess geeigneter sind. Neben der Zeit- und Kostenersparnis, alle nicht besonders geeigneten Moleküle im Labor mühsam herzustellen, fallen auch keine Abfälle an. Auf unseren Ergebnissen basierend, können dann experimentelle Gruppen sich auf die am besten geeigneten Moleküle konzentrieren.

Ein weiterer Punkt ist, dass unsere Rohdaten und Ergebnisse weltweit schnell per Internet geteilt und diskutiert werden können. Wir schicken keine Chemikalien um den Globus, um damit weitere Untersuchungen durchzuführen. Aber mit unseren Rohdaten können andere Forscher ihre eigene Forschung weiter betreiben.

Meine Forschung trägt auch dazu bei, Lösungsmittel "grüner" zu machen. Viele dieser Beispiele stelle ich in meiner Vorlesung "Alternative grüne Lösungsmittel" vor.

Sie waren bisher Sprecher des Mittelbaus. Was nehmen Sie aus dieser Tätigkeit mit?

Ich habe mich als Sprecher des Mittelbaus sehr engagiert, um der großen Heterogenität dieser Gruppe gerecht zu werden. Wichtige Projekte, wie den Habilitationskatalog, habe ich vorangetrieben. Viele Mittelbauler*innen sind sehr engagiert in der Lehre und Forschung tätig und brauchen Karriereperspektiven.

In meiner Tätigkeit als Mittelbausprecher habe ich immer zwischen verschiedenen Parteien mit kontroversen Meinungen vermittelt. Ich habe mir alle Argumente angehört und versucht, Lösungen zu finden. Diese Offenheit möchte ich mir bewahren.

Was geben Sie Studierenden aus Ihrem Forschungsfeld mit? 

Bei  mir bekommt jeder Studierende einen Crash-Kurs in den digitalen Möglichkeiten der modernen Forschung in der Chemie. Dies geht von den theoretischen Methoden, zu den Auswertungen von Simulationen bis zur Präsentation der Ergebnisse.

Darüber hinaus ist es mir wichtig, Eigeninitiative und den Forschungsdrang meiner Studierenden zu fördern. Meine Doktorand*innen arbeiten interdisziplinär mit anderen Theoretischen Chemiker*innen und Experimentator*innen weltweit zusammen. Wir haben viele spannende Projekte, auch innerhalb der Fakultät.

Vor kurzem haben beispielsweise auch Doktorand*innen aus den Arbeitsgruppen Bonifazi und Kurzbach Forschungsbeispiele in meiner Arbeitsgruppe gemacht. Sie lernen, unsere Methoden für ihre Projekte zu nutzen. Die Bedeutung der Interdisziplinarität der Forschung habe ich schon in meiner Doktorarbeit im Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen eingeimpft bekommen.


Univ.-Prof. Dr. Christian Schröder wurde mit März 2022 zum "Full Professor" am Institut für Computergestützte Biologische Chemie berufen. Der Chemiker promovierte am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen und war als PostDoc ab 2004 an der Universität Wien tätig. Seit Jänner 2017 war er assoziierter Professor am Institut für Computergestützte Biologische Chemie, dessen stellvertretender Leiter er auch ist. https://www.mdy.univie.ac.at/people/schroeder/schroeder.html

Weiterführende Beiträge:

Christian Schröder ist seit März 2022 Full Professor (© Universität Wien/Fakultät für Chemie)

"Computergestützte Chemie ermöglicht die Gesamtinterpretation" (© Christian Schröder)