Naturstoff-Forschung im Mikrobiom

23.10.2020

Das humane Mikrobiom und damit die Gesamtheit der Mikroorganismen, die uns besiedeln, ist zunehmend in den Blick der Forschung gerückt. Um das Zusammenspiel zwischen den Mikroben untereinander sowie mit ihrem Wirt besser zu verstehen, müssen wir mehr über die zugrundeliegende Chemie in Erfahrung bringen, sagt der Forscher Thomas Böttcher. Der neu berufene Professor für Mikrobielle Biochemie der Universität Wien untersucht dabei auch die Rolle von Bakteriophagen, um letztlich das Verhalten von Bakterien steuern und antibakterielle Wirkstoffe entwickeln zu können.

"Für mich ist die Professur so reizvoll, weil sie meinen Forschungsschwerpunkt perfekt abbildet." Thomas Böttcher bezieht sich damit auf den Brückenschlag zwischen der Mikrobiologie und organischen Chemie, den die Professur auch strukturell lebt – sie wurde von der Fakultät für Chemie und dem Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft gemeinsam ausgeschrieben. Es ist aber auch ein Brückenschlag, den der Forscher in seiner Karriere früh suchte.

"Bisher hat man sich in der mikrobiellen Naturstoffforschung eher auf Meeresbewohner und Bodenorganismen konzentriert", so Thomas Böttcher, der von der Universität Konstanz nach Wien wechselt. Doch bei Fragen, was Bakterienstämme im Menschen tun, wie sie Krankheiten auslösen und wie sie gegenseitig um Existenz und Nischen im humanen Organismus kämpfen, spielen die chemischen Signalmoleküle, die von den Mikroben produziert werden, eine ebenso entscheidende Rolle:

"Wir versuchen die aktiven Substanzen beim Zusammenspiel der Mikroben zu bestimmen und ihre Struktur aufzuklären, um sie dann im Labor zu synthetisieren und nach Möglichkeit zu optimieren. Somit könnten die Substanzen auch als mögliche Wirkstoffe für den Menschen nutzbar gemacht werden." Böttchers Gruppe konnte dies bereits für den Erreger der Geschlechtskrankheit Gonorrhoe zeigen und aussichtsreiche Wirkstoffkandidaten entwickeln, die auch gegen antibiotikaresistente Stämme aktiv sind.

Phagen als Top-Thema

Phagen sind in den vergangenen Jahren vor allem im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen ins Interesse der Forschung gerückt: Die Rolle der Bakterien-Parasiten, die mitunter auch über den Fortbestand ganzer Bakterienpopulationen entscheiden, ist vielschichtig: Die infektiösen Viren, die sehr selektiv Bakterienzellen besiedeln, können diese über die lytische Infektion – im Zuge ihrer eigenen Vervielfältigung - töten. Manche Phagen können sich aber auch in das Bakterien-Genom einschleusen, dort zunächst unauffällig mitexistieren und sich über die bakterielle Zellteilung vervielfältigen.

Phagen wurden schon in allen Organen des Menschen nachgewiesen - sie sind so klein, dass sie durch jegliche Gewebe hindurch gehen können.

Die sogenannten lysogenen Phagen können dann wieder über bestimmte chemische Reize in einen aktiven Status wechseln – "mit Vor- wie auch Nachteilen für den eigenen bakteriellen Wirt bzw. seine Population", so Thomas Böttcher.

Die Phagen schützen ihren Wirten im latenten Zustand gegenüber der Fremdinfektion durch andere Phagen. Im aktiven Zustand zerstören sie aber häufig ihre Bakterienzelle und die neu produzierten Virenpartikel werden freigesetzt – dies kann zum Kollaps der Bakterienpopulation führen oder aber sich als molekulare Waffe gegen konkurrierende Populationen richten. In bestimmten Fällten bleibt auch die Bakterienzelle selbst trotz Freisetzung der Phagen am Leben.

ERC-Projekt zur Phagen-Wirts-Chemie

"Uns interessiert, welche chemischen Signale latente Phagen aktivieren und welche Auswirkungen dies auf Bakterien und ihre Interaktionen hat." Für dieses Forschungsvorhaben erhielt Böttcher einen ERC Consolidator Grant vom Europäischen Forschungsrat. Die Naturstoffe, die zur Aktivierung der latenten Phagen führen, könnten ein Ansatz sein, neue antibakterielle Wirkstoffe zu entwickeln.

Chemical Microbiome Engineering als Vision

"Wir wollen synthetische Stoffe herstellen, mit denen wir das Verhalten von bestimmten Mikroorganismen verändern können." Böttchers Vision ist es, "ein Chemical Microbiome Engineering zu ermöglichen", also die Herstellung maßgeschneiderter Werkzeuge für die verschiedenen Spezies von Mikroben. Mit diesen könnte man dann künftig die Zusammensetzung eines Mikrobioms gezielt verändern oder "auch wieder in die richtige Balance bringen".


Univ.-Prof. Dr. Thomas Böttcher hat mit 1. Oktober seine Professur „Mikrobielle Biochemie“ an der Fakultät für Chemie (Institut für Biologische Chemie) und am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft (Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung) der Universität Wien angetreten. Er war zuvor Leiter einer Emmy Noether Forschungsgruppe am Fachbereich Chemie / Zukunftskolleg an der Universität Konstanz. Der Chemiker konzentriert sich auf die Entdeckung von Naturstoffen, die das Verhalten von Bakterien beeinflussen, sowie auf neue Strategien im Umgang mit infektiösen Erkrankungen und chemische Interaktionen von Mikroorganismen. 2020 startet sein ERC-Projekt zur Erforschung der Chemie von Phagen-Wirtsinteraktionen im menschlichen Körper.

Thomas Böttcher erforscht die Chemie mikrobieller Interaktionen (Copyright: Thomas Böttcher/AG Böttcher).

Phagen und Bakterien – Computergrafik (Copyright: Thomas Böttcher/AG Böttcher)